Das Selbstentfaltungsproblem:
Kritik und Tadel lähmen, Anerkennung und Lob beleben. Verantwortungsbewusste Führungskräfte wissen um dieses Gesetz und vermeiden es weitgehend, ihre Mitarbeiter zu kritisieren und zu tadeln. Trotzdem ist es manchmal nötig, auf Fehler aufmerksam zu machen, um sie in Zukunft nicht mehr vorkommen zu lassen. Das geht nicht immer ohne Kritik.
Fehler sind dazu da, dass sie gemacht, aber nicht, dass sie wiederholt werden. Wenn sich Kritik nicht vermeiden lässt, dann sollten einige psychologische Erkenntnisse und Verhaltenstipps beherzigt werden:
- Ist es wirklich unbedingt nötig, zu kritisieren oder zu tadeln? Denken Sie zuerst über eine positive Alternative nach, denn Leistungen wachsen nur aus der Fülle der Kräfte, die es zu wecken gilt. Misserfolgserlebnisse schwächen das Selbstvertrauen, Anerkennung stärkt es.
- Wenn schon Kritik, dann sofort – oder Sie vergessen es ganz. Zu spät vorgetragene Kritik wirkt nachtragend.
- Auf Lob oder Tadel reagieren Menschen unterschiedlich. Die gleiche Kritik lässt den einen Mitarbeiter kalt, den anderen trifft sie ins Mark. Das gleiche Lob, das der eine braucht, macht den anderen überheblich. Deshalb immer nur individuell loben oder tadeln.
Loben oder tadeln Sie immer nur das sachliche Verhalten („Sie haben etwas vergessen“), nie persönliche Eigenschaften („Sie sind schlampig“). - Kritisieren Sie immer im Vier-Augen-Gespräch, nie in Gegenwart anderer Personen. Lassen Sie den Kritisierten stets sein Gesicht wahren.
- Beginnen Sie möglichst mit einem positiven Punkt und geben Sie dem Mitarbeiter das Gefühl, dass Sie ihm Hilfe zur Selbsthilfe anbieten.
- Bevorzugen Sie die „Wir“-Form („Wir haben einen Fehler gemacht“), damit der Kritisierte das Gefühl bekommt, dass der Fehler nicht nur ihm passiert ist und er die alleinige Schuld dafür tragen muss, sondern auch anderen hätte geschehen können.
- Vermeiden Sie unbedingt Unbeherrschtheit oder beleidigende, lächerlich machende wie verallgemeinernde Ungerechtigkeiten. Bleiben Sie sachlich und nennen Sie Argumente, auch wenn es schwerfällt.
- Versetzen Sie den Kritisierten in die Lage des Vorgesetzten („Wenn Sie an meiner Stelle wären, …“) und bevorzugen Sie bei der Kritik die Frageform („Was ist passiert, als Ihnen der Fehler unterlaufen ist?“). Damit appellieren Sie an die Selbstverantwortung des Mitarbeiters, ohne sein Selbstwertgefühl anzugreifen.
- Zeigen Sie immer auf, wie man es besser machen könnte. Am Ende des Gesprächs muss stets eine positive Geste der Versöhnlichkeit und Aufmunterung stehen.
Kritik lähmt Kräfte, Anerkennung weckt Kräfte!
Bedenken Sie immer: Kritik lähmt Kräfte, Anerkennung weckt Kräfte. Nehmen Sie deshalb gute Mitarbeiter nicht als selbstverständlich hin, sondern loben Sie auch mal kleine Fortschritte. Besondere Leistungen verdienen auch besondere Anerkennung! Setzen Sie die Zauberkraft des Lobes ein, spornen Sie Ihre Mitarbeiter an, ermutigen Sie und mobilisieren Sie die letzten Kräfte, indem Sie Ihren Glauben an die Fähigkeiten Ihrer Mitarbeiter betonen. Wichtiger als Geld – etwa eine Gehaltserhöhung – ist Anerkennung. Jeder will etwas gelten. Den idealen, den perfekten Mitarbeiter, der nie Fehler begeht, gibt es genauso wenig, wie den perfekten Chef. Sparen Sie deshalb nicht mit Anerkennung und Lob, auch wenn eine erbrachte Leistung nicht perfekt war. Etwas Positives findet sich fast immer.
Ein besonderes Zeichen der Anerkennung, das Jim vor vierzig Jahren bekam, begleitet ihn heute noch zu jeder neuen beruflichen Station, und er schildert, wie er dazu kam und warum es so wertvoll für ihn ist.
Ich hatte das Glück, in meinem Leben viele Belohnungen, Boni und Auszeichnungen zu erhalten. Die überwiegende Mehrheit davon war eher bedeutungslos: Sie haben nicht wirklich erfasst, was an meiner Leistung wichtig war, sie wurden viel zu spät vergeben, und der Prozess zur Ermittlung, wer belohnt wurde und warum, ist oft undurchsichtig und anfällig für Günstlingswirtschaft. Aber ich habe auch einige unglaubliche Belohnungen erhalten: herzliches Dankeschön, eine einfache Umarmung, neue Freundschaften. Die vielleicht bedeutendste Auszeichnung, die ich erhielt, war ein handgezeichneter Award, den mir meine Staffel am Ende unserer Grundausbildung bei der U.S. Air Force überreicht hat.
Ich war von unserem Feldwebel zur „Latrine Queen“ des Geschwaders gewählt worden, mit der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass unsere Toiletten und Duschen stets sauber und zur Inspektion bereit waren. Nun musste ich einen Weg finden, um fünfzig männliche Teenager und junge Männer davon zu überzeugen, die Sanitäranlagen sauber zu halten, und Freiwillige finden, die mir halfen, die Räumlichkeiten jeden Abend zu reinigen: Jede Mutter weiß, dass dies mit ein paar Kindern nicht möglich ist. Können Sie sich die Herausforderung vorstellen, das für fünfzig Leute zu machen?
Unnötig zu sagen, dass es ein ziemlich undankbarer Job war, aber wir haben uns immer wieder damit arrangiert – und wir haben uns bei sämtlichen Inspektionen hervorgetan. Nach unserem Abschluss, als wir uns für die Abreise fertigmachten und uns verabschiedeten, wurde ich nach vorne gerufen. Das Geschwader hatte eine Überraschung für mich: Sie überreichten mir einen handgezeichneten Fantasiepreis ohne Geldwert: den „Latrine Queen Award“.
Noch vierzig Jahre später besitze ich den „Award“ und bringe ihn zu jedem neuen Job mit. Es ist deswegen so bedeutungsvoll, weil ich ihn nicht erwartet hatte; er wurde mir vom Team überreicht, nicht von meinem Chef; er war für etwas, was ich getan hatte, und sie hatten verstanden, wie wichtig das war und wie viel Arbeit. Kein Geld, keine formelle Überreichung, keine schicke Auszeichnung: nur herzlicher Dank und Anerkennung. Die Leute hatten erkannt, wie schwierig und wichtig der Job war, obwohl es nur darum ging, die Toiletten sauber zu halten.