Im heutigen Leistungssport sind die psychischen Trainingsmethoden weitgehend ausgeschöpft. Fast jeder Spitzensportler verfügt über die annähernd gleichen Möglichkeiten zum Kraft-, Technik- und Konditionstraining. Physisches Training ist eine Selbstverständlichkeit im Sport. Aber Nervenstärke, psychische Einstimmung auf den Wettkampf, Konzentration und Leistungswille – also mentales Training – sind noch lange nicht selbstverständlicher Bestandteil von gezielten Trainingsprogrammen, obwohl im Sport wie in jedem anderen leistungsintensiven Beruf Motivation, innere Einstellung und Ruhe und Einheit von Körper, Seele und Geist entscheiden können über Erfolg oder Misserfolg.
Viele Spitzensportler praktizieren Autogenes Training, um Wettkampf-Stress abzubauen und die Konzentrationsfähigkeit zu stärken. Da aber das Autogene Training im Wesentlichen darauf basiert, zu suggerieren, dass die Glieder schwer werden, besteht die Gefahr, dass das Energie-, Kraft- und Leistungs-Potenzial eher gebremst als aktiviert wird.
Das mentale Training (= Geist-Training) ist im Prinzip eine weiterentwickelte Form des Autogenen Trainings. Auch hier wird von der Einheit von Körper, Seele und Geist ausgegangen. Je harmonischer diese Einheit ist, um so stabiler und auch leistungsfähiger ist der Mensch. Angst, Nervosität, Depressionen und Konzentrationsstörungen blockieren diese Stabilität und schaffen eine Kluft zwischen Unterbewusstsein und Bewusstsein.
Zu Spitzenleistungen kommt es letztlich nur, wenn Begabung, physische Fähigkeiten und Umwelt sich nicht entgegenwirken, sondern harmonisch zusammenwirken. Für einen Leistungssportler ist es selbstverständlich, den Körper zu trainieren, Muskeln und Kondition aufzubauen. Das Training des „Geistes“ – Willen, Konzentration, Risikobereitschaft – wird im deutschen Sport noch immer sträflich vernachlässigt.
Dabei sind es in der Praxis nur selten die physischen Grenzen, die den Sieg verhindern. Technik lernt jeder Sportler von Kindesbeinen an, Kraft und Kondition sind Trainingssache.
Zusammen mit dem ehemaligen Cheftrainer der österreichischen Olympiamannschaft der Skispringer, Prof. Baldur Preimel, hat Nikolaus Enkelmann den Begriff „Mentales Training“ im Sport eingeführt und auch als Pionier auf diesem Gebiet diese bis dahin völlig unbekannte Motivations-Methode erstmalig praktiziert.
Wille zum Sieg + Umwelt = Freisetzung von Energien
Viele Trainer arbeiten mit der Methode, bei den Sportlern Wut- und Hassgefühle zu mobilisieren. Das kann durchaus im Einzelfall funktionieren, aber es ist auch eine gefährliche Ebene. Kaum ein Mensch ist in der Lage, diese Gefühle immer wieder zu aktivieren, bei manchen können sie vorhandene Energien lähmen oder sich sogar gegen den Sportler selbst richten.
Beim mentalen Training kommt es darauf an, dass der eigene Wille zum Sieg und die Umweltprägung sich harmonisch verbinden und die inneren Kräfte entfalten. Deshalb sind die zwei Hauptbereiche des mentalen Trainings:
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Steigerung des Selbstbewusstseins zur Stabilität des Charakters und
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Steigerung der Lernfähigkeit zur Stabilität der Konzentration.
Vier-Stufen-Programm
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Die erste Stufe sieht das Gewöhnen an Ruhe vor.
Viele Menschen glauben, dass der Zustand der Entspannung nur in einer absolut ruhigen Umgebung, möglichst im Liegen und mit geschlossenen Augen, erreicht werden kann. Aber gerade Leistungssportler – und nicht nur diese – sind darauf angewiesen, während der unruhigen Atmosphäre eines Wettkampfes jederzeit und unabhängig von äußeren Einflüssen aus dem Stress – auch „Beta-Zustand“ genannt – in den entspannten und leistungsintensiven „Alpha-Zustand“ gelangen zu können.
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Die zweite Stufe sieht das Wachsenlassen der Ruhe und die Steigerung der Konzentrationsfähigkeit vor.
Hier kommt es darauf an, die Überspannung und den Überstress abzubauen, das unnötige Flattern, das Weichwerden in den Knien – ohne dass der Wille zum Sieg verlorengeht.
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In der dritten Stufe geht es darum, Hemmungen, Verkrampfungen und Ängste abzubauen.
Jeder Spitzensportler wird seine Muskulatur zuerst auf die Höchstleistung einstimmen, indem er sich „warmläuft“ oder „warmspielt“. Kalte Muskeln verkrampfen bei Beanspruchung, was schnell zu Zerrungen und langwierigen Verletzungen führen kann. Ein Sportler, dessen Muskulatur nicht warm und weich ist, ist nicht zu Höchstleistungen fähig.
So ist es auch mit der Psyche. Verkrampfungen – Hemmungen und Ängste – blockieren die Leistungsbereitschaft. Ein Fußballer, der sich vor dem Gegner oder möglichen Verletzungen fürchtet, wird keinen Zweikampf gewinnen können. Eine Skifahrerin, die Angst vor den Slalomstangen hat, wird keinen Slalom gewinnen können. Deshalb arbeitet das mentale Training mit der Fantasie des Sportlers, um die negativen Einflüsse ausschalten zu können. Nach dem in Stufe II erreichten Entspannungszustand ist es jetzt möglich, die Fantasie in bestimmte Richtungen zu lenken. Ein Tennisspieler kann beispielsweise in seiner Vorstellung ein Match durchspielen, kann seinen Gegner vor sich sehen, dessen spezielle Spielweise, den Schläger, den Ball. Er kann sich selbst erleben, wie er auf perfekte Art Bälle aufnimmt und zurückschlägt. Und er kann vor einem Spiel seine Taktik und Einstimmung auf den Gegner bereits im Kopf, in seiner Fantasie, optimal festgelegt haben.
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In der vierten Stufe soll schließlich die Belastbarkeit verstärkt und der Glaube an den Sieg aktiviert werden.
Es ist selbstverständlich, dass von einem Spitzensportler ein Höchstmaß an Belastbarkeit erwartet wird. Nur wer sich abschirmen kann gegen Nervenspannung und die stressreiche Atmosphäre eines Wettkampfes, wird zur Weltspitze zählen können. Herausragende Sportler wie Sebastian Vettel, Tiger Woods oder Magdalena Neuner sind Paradebeispiele dafür, wie höchste Konzentration auf sich selbst und das Spiel oder Rennen sowie das mentale „Ausklinken“ von äußeren Einflüssen – wie z. B. Zuschauerreaktionen – in den Gesichtern und an der Körpersprache der Sportler abzulesen sind. Kein Sportler kann stressfrei sein. Es geht aber darum, den positiven Nutzen aus dem Stress zu ziehen, indem Überstress abgebaut und vorhandene Aggressivität – natürlich in sportlicher Form – auf Gegner, Spiel und die konkrete Aufgabe gelenkt wird und nicht auf sich selbst oder die Umgebung.
Den Willen zum Sieg stabilisieren
Konsequentes psychisches Training stabilisiert den Willen zum Sieg und nimmt die Angst vor der Niederlage. Mit der richtigen Motivation, kombiniert mit Talent und physischen Fähigkeiten, kann jeder Mensch weit über sich hinauswachsen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass mentales Training nicht nur für Spitzensportler sinnvoll und nutzbringend ist, sondern für jeden Menschen, der ein „Sieger“ sein möchte, indem er seine physischen und psychischen Kräfte entfalten und einsetzen möchte, anstatt sie zu blockieren oder blockieren zu lassen. Das trifft auf fast alle Berufsgruppen zu, die Entscheidungsfreudigkeit und Verantwortungsbereitschaft gepaart mit Leistung und Konzentrationsfähigkeit fordern. Und welche Berufsgruppe ist in der heutigen Zeit davon nicht betroffen ?